Patientenmitbestimmung im System und als Betroffener

Heuer blicke ich auf 50 Jahre Diabetes in eigener Betroffenheit sowie auf 38 Jahre Mitarbeit in der Diabetes Selbsthilfe zurück.
Mit der Frage des Mitspracherechts beschäftigten sich Eltern von an Diabetes erkrankten Kindern schon vor gut fünf Jahrzehnten.

Um mit dem Arzt/der Ärztin auf Augenhöhe sprechen zu können, braucht es für Menschen mit Diabetes strukturierte Diabetikerschulung.
Nur wenn das Wesen der Krankheit, aber auch die Möglichkeiten der Therapien verstanden und bekannt sind wird es Betroffenen möglich, mitzuarbeiten und in weiterer Folge mitzubestimmen.

Messbare Größen und Normen erlauben das Ende schablonierter Therapien. Spielraum für den persönlichen Alltag, natürlich nur im Rahmen der individuellen Möglichkeiten von Psyche und Körper, wäre möglich.
Das vielzitierte gute  Arzt – Patientengespräch ist für beide Seiten eine tragende Basis und  trägt zur Stärkung der Betroffenen Compliance bei. Durch die Möglichkeit der Mitbestimmung werden Verantwortung und aktives Handeln auf die Betroffenen umgelegt.
Natürlich kann das für Patient*in und Arzt / Ärztin, einerseits als Chance, andererseits aber auch als Gefahr verstanden werden.
Gespräche, Feedback, psychologische Begleitung braucht es nicht nur am Beginn der Erkrankung. Auffrischung von Wissen, Motivationsschub und Zuwendung ist vor allem auch für Menschen mit langjährigem Diabetes notwendig.
Diese Erkenntnis wird, meiner Meinung nach, gröblich vernachlässigt.

Patientenmitbestimmung – ein Traum?
Ja, ein Traum, der für viele Betroffene aus unterschiedlichsten Gründen noch immer nicht oder schon wieder nicht in Erfüllung zu gehen scheint.

Heutzutage geht es um kostengünstigeren, zeitsparenderen Umgang mit Menschen mit Diabetes.

Kann mit einem verbesserten Mitspracherecht für Betroffene in diesem Jahrhundert gerechnet werden? Diese Frage impliziert, dass es auch im 21. Jahrhundert noch immer bzw. schon wieder keine optimale Patientenmitbestimmung gibt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten war zu beobachten, dass medizinische Schulungen nicht mehr stattfinden und somit Patientenmitbestimmung systematisch abgeschafft wird.
In Zeiten von Ärzte- und Personalmangel ist es für mich wahrscheinlich, dass auf eine Veränderung zur Verbesserung nicht gezählt werden kann.

Menschen  mit Diabetes werden darauf verwiesen Information online einzuholen. Sie werden auf die Handhabung technischer Devices sogar von Firmenseite nur mehr online unterrichtet.
Kann der Patient als Kunde kein persönliches Service mehr erwarten?
Für persönliche Zuwendung scheinen keine Zeit und kein Geld zur Verfügung zu stehen.
Eine Kostenfrage? Natürlich.
Es zeigt sich leider schon lange, dass Prävention nicht bezahlt werden will.

Ausnehmen möchte ich hier die Betreuung von Kindern mit Diabetes. Man hört jedoch, dass auch in der Pädiatrie Personal eingespart wird.

Wer übernimmt letztendlich Verantwortung wenn falsch verstandene Anleitung oder gar Fake News in die Irre führen?
Dieser Gedanke macht mir Angst.
Wer steht für kompetente Hilfe? Wo sind die Expert*innen?
Wo sind die Mutmacher*innen  und Motivator*innen, die Menschen mit Diabetes notwendig brauchen?

Seit Jahrzehnten war und ist es die Selbsthilfe, die mit der Organisation von medizinischen Experten, das nötige  Wissen an Betroffene weitergibt und als Informationspool für nicht vorhandene Information dient.
Ärzt*innen setzen sich unbezahlt und in ihrer Freizeit für die gute Sache ein.

Es hat lange Jahre gebraucht, Patientenschulungen – finanziert von Gesundheitsbehörden und Versicherungsträgern – im klinischen Alltag zu integrieren und auch teilweise auf extramuralem Bereich zu installieren.
Die Diabetes Selbsthilfe setzte sich dafür bereits  in den 1980iger Jahren vehement ein und plädierte für die Freistellung bezahlter Diabetesberater*innen im klinischen Umfeld.
In unzähligen Vorsprachen mit politischen Entscheidungsträgern, der Sozialversicherung und der Unterstützung der Ärzteschaft im Bereich Diabetes ist vieles erreicht worden – ABER vieles ist wiederum still und leise verloren gegangen.

Unglaublich, dass  auch im 21. Jahrhundert noch immer jene, nämlich die, die es betrifft nicht gefragt bzw. angehört werden, Petitionen und Forderungen von Patientenvertretern einfach schubladisiert werden.
Patienten-Empowerment ist nicht schlagend geworden, sondern lediglich zum Schlagwort verkommen.

Medizinische  und technische Fortschritte sowie soziale Veränderungen werfen stets neue Fragen auf.
Patientenmitbestimmung im System ist daher ein nie endender, mühsamer Weg.

Menschen wie ich, die über Jahrzehnte in der Selbsthilfe aktiv und engagiert arbeiten, müssen zur Kenntnis nehmen, dass Patientenmitbestimmung eine unendliche, langwierige Sache ist und stets wieder von neuem begonnen werden muss.
Menschen mit Diabetes haben natürlich Pflichten, aber auch Patientenrechte.
Eines dieser Rechte ist Diabetikerschulung, die Ängste und Sorgen zu überwinden hilft und aufzeigt, dass es möglich ist Folgeerkrankungen hintan zu halten.

Studien beweisen klar, dass Behandlungskosten von Folgeschäden durch Präventivmaßnahmen geringer ausfallen.

Ich, als Typ 1-Diabetikerin, habe von der positiven Entwicklung profitiert und wünsche mir für die Zukunft engagierte Menschen mit Typ 1- u. Typ 2-Diabetes, aber auch gut ausgebildete, hilfreiche medizinische Experten, für deren Einsatz ausreichend Zeit und Bezahlung zur  Verfügung gestellt werden muss.

Elisabeth Thiebet
Betroffene mit Diabetes Typ 1
Österreichische Diabetikervereinigung – ÖDV
5020 Salzburg, Moosstraße 18, Tel. 0662/827722
E-Mail:   Internet: www.diabetes.or.at